Jede Erzählung über die pulsierende Hauptschlagader des Palaisviertels, die Herrengasse enthält an irgendeiner Stelle das Bedauern darüber, dass Straßen nicht sprechen können. So viel an Geschichte wäre hier zu erfahren, von den Tagen der Römer bis heute. Anfangs noch außerhalb der damaligen Stadt, dem römischen Vindobona gelegen, rückte sie im 13. Jahrhundert innerhalb der Mauern von Wien. Dank ihres römischen Unterbaus ragte sie über die umliegende Gegend empor und wurde wohl darum für lange Zeit „Hochstraße“ genannt. Vor rund fünfhundert Jahren errichteten die Stände („Herren“) wegen der Nähe zum kaiserlichen Hof hier ihr Landhaus. So kam es zum neuen Namen, der sich bis in die Gegenwart erhielt, wenn auch der niederösterreichische Landtag samt seinen heutigen Damen und Herren längst nach St. Pölten übersiedelt ist. Von hier aus wollen wir das Palaisviertel erforschen. Und es lohnt, sich dafür Zeit zu nehmen. Denn die wunderbare Architektur der vielen Palais erschließt sich erst beim genauen Hinschauen. Ein allzu eiliger Fußgänger kann die Ästhetik der Fassaden, die Großzügigkeit der Innenhöfe und die Details von Feststiegen, Ballsälen und verborgenen Kapellen nicht entdecken. Dazu braucht es Muße und gutes Schuhwerk. Dann lassen sich auch Dinge wie das Café Central entdecken, einem der Herzstücke der Herrengasse, wo gleich beim Eingang eine Skulptur des Peter Altenberg sitzt. Ein österreichischer Schriftstellers, der dort residierte und schrieb. Seine Zuneigung zur modernen Architektur war enden wollend. „Wohnlich ist der Dachsbau, der Bienenkorb, der Ameisenhaufen, aber nicht die modernen Wohnungen“, ist ein von ihm überlieferter Aphorismus, der jedoch für das Palaisviertel so gar nicht gelten kann, denn hier wohnt es sich gut. Neben den erwähnten fürstlichen und gräflichen Prachtbauten steht hier auch das erste Wiener Hochhaus, das wir Ihnen vorstellen werden, es gibt die Cafés Griensteidl und Central, eine Reihe von Läden und Lokalen, die einen Besuch mehr als lohnen und viele interessante Menschen. Einige von ihnen haben wir getroffen, um mehr über die die kleinen Geheimnisse und Schmankerln des Grätzels zu erfahren.